Das Ende des Zeitalters der Titanen

Das Ende des Zeitalters der Titanen

Zum Ableben des Jahrhundertpianisten McCoy Tyner

Es scheint, dass das Zeitalter der ganz großen Individualisten vorbei ist. Klar , dieser Artikel dreht sich um Jazz; aber Jazz ist eben auch echtes Leben oder anders gesagt: Jazz ist vielleicht nicht viel mehr als ein Spiegel mit Eigenleben. Eigentlich verdreht er ja nur das scheinbar Tatsächliche in absolutem Maß. Spiegelgleich! Was für ein wunderbares Wort , das sein Gegenteil in sich trägt, denn spiegelgleich bedeutet einhundert Prozent Unterschied; keins mehr – keins weniger !Nur – Jazz macht das auch, aber mit Off-Beat. Er spiegelt das Jetzt und Hier wieder und akzentuiert da und dort. Er überhöht und reflektiert – aber immer vom Tatsächlichen ausgehend. Und in der Zeit der Individualisierung und der Befreiung des Einzelnen aus dem Morast der Kollektivität war gerade auch diese musikalische Ausdrucksform voll am Puls der Zeit. Nichts Neues zwar im Laufe der Menschheitsgeschichte und auch in der Musikgeschichte. Auch das Zeitalter des Barock, der Wiener Klassik spiegelte diese Entwicklung wieder.  Aber immer wieder –auch in den dunklen Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts folgt der Rückfall in die scheinbare Schwarmintelligenz, die so aber nicht stimmt, weil der menschliche Schwarm immer ein manipulierter zu sein scheint, der an diversen Gängelbändern hängt. ( Ich wäre froh, wenn ich mich täuschte…) Der Mensch als entwickeltes Wesen ist offenbar dieser in der Natur so üblichen Taktik nicht wirklich mehr fähig, wenngleich vor allem von politisch Rechter Seite eine Art von Animalismus als Naturreligion verherrlicht wird. Stimmt nur so nicht, denn selbst das scheinbar mörderische Auftreten manches Erregers ist eigentlich nur ein „Versehen“ der Natur.  Hingegen ist das Vorgehen der Menschheit nicht mit der bloßen Art-Erhaltung der eigenen Spezies entschuldbar. Seine Rücksichtslosigkeit richtet sich auch gegen sich selbst. Und das ist weder in Fauna noch Flora diese Planeten so vorgesehen. Der Plan des Lebens an sich ( für Theisten unter uns der sogenannte göttliche…) ist ein Erhaltender – nicht Vernichtender.

Ja und gerade eben JETZT fällt es umso schmerzlicher auf,  wenn Menschen, die Eckpfeiler (bitte das Wort durchaus wörtlich zu verstehen!) der individualistischen Blütezeit im letzten Jahrhundert waren, von der Liste des Ausdrucks verschwinden.

Diese Listen sind oft mannigfaltig. Im Jazz der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts allerdings klar strukturiert. Ohne viel Federlesens ist die Tatsache die: Das „klassische“ John Coltrane Quartett ist sowohl Mutter als auch Vater der zeitgenössischen Jazzerzählung. Und die hat etwas Buddhistisches an sich. Es gibt eine Punkt musikalischer Erkenntnis, in dem sich alles mühsam erworbene Wissen und Sein verflüssigen. Die Erkenntnis, dass Form nur ein Konstrukt ist, dass das Streben der rationalitäts-verseuchten Menschheit nach Verständnis erfüllen soll, um so dieses Da-Sein zu erklären und vor sich selbst zu rechtfertigen,  liegt musikalisch aufbereitet in diesem Quartett und ist dank unserer Speichermöglichkeiten von Vinyl zu USB-Stick jederzeit nachvollziehbar.

Diese Quartett ist seit Donnerstag allerdings endgültig Geschichte, denn nach John Coltrane selbst (1967), Jimmy Garrison ( 1976) und Elvin Jones (2004) ist mit dem Ableben von McCoy Tyner am Donnerstag letzter Woche dieses Fundament der Jazzgeschichte jetzt Geschichte geworden.

Und, das muss man auch sagen: Der Drang, zu einer singulären Erscheinung zu werden ist interessanterweise bei  der „jüngeren“ Musikergeneration nicht mehr so vorhanden wie in früheren Dekaden, denn auch der „Boden“, auf dem diese Pflänzchen wachsen, hat sich verändert. Wie hat mir der wunderbare Chris Speed erst am Montag erzählt: Sein Augenmerk gilt nicht so sehr der Entwicklung seiner eigenen Person. Es sind die „Bands“ in denen er sich wohlfühlt. Viele wechselnde Verbindungen, Einflüsse und die daraus entstehenden neuen Energien; das ist für ihn spannend, das ist musikalisches Leben. Wobei „jünger“ natürlich relativ ist, denn auch Chris Speed und viele in seinem Umfeld haben schon einen Fünfer vorne stehen.

Man kann also hoffen, dass diese Lehren und  Erkenntnisse, die Jazzmusiker in den Jahren des sinkenden Allgemeininteresses gezogen haben – und da spreche ich von Authentizität und vor Allem einer großen Portion Demut vor der Kunst, der eigenen Bestimmung und dem Leben an sich-auch Erkenntnisse von immer größeren Teilen der Menschheit werden könnten. Ein gelungener Ausgleich zwischen den Polen Individualismus, der die persönliche Freiheit des Menschen und seine positiven Talente fördert und garantiert und Kollektivismus, der Empathie, Solidarität und das Wissen um Gestaltungsmacht im Zusammenstehen hochhält, wäre die einzige Medizin, die die Wunden, die diese beiden Pole in den Zeiten alleiniger Vormachtstellung in die Menschheitsgeschichte und in das Antlitz dieses Planetengeschlagen hat, heilen könnte.

„Jazzer an die Macht“ wäre hier also der logische Schluss, doch möchte ich auch hier nicht pauschalieren und möchte wieder einmal mit dem frommen Wunsch: „ Mögen alle Lebewesen glücklich sein“ schließen.

Die Musik dieser heutigen Sendung stammt von den Alben:

Coltrane

Crescent

A Love Supreme

Kulu se Mama

John Coltrane plays:

und

 Meditations